Marktdaten

Ein Blick über die Grenze: Immobilienmarkt Deutschland

Deutschlands Wirtschaftslage ist angespannt: Der DAX hat drastische Verluste erlebt und es droht eine Rezession. Teuerungsraten steigen, Lieferketten sind gestört und die Immobilienpreise, die nach 2008/09 stiegen, zeigen Anzeichen einer Abkühlung. Trotz sinkender Nachfrage auf dem Immobilienmarkt erwarten Experten keine direkte Krise, raten jedoch zur Vorsicht bei Immobilieninvestitionen.

Von Richard Auf der Maur

Immobilienmarkt: Deutschland
Der Immobilienboom gerät ins Stocken: Das Ende vom Anfang oder der Anfang vom Ende?
Bei unserem nördlichen Nachbarn wird es langsam aber sicher ungemütlich.

Was ist passiert?


  • Der Leitindex DAX hat seit Anfang Jahr über 24% an Wert verloren; eine Rezession steht vor der Tür.
  • Letzte Woche wurde erstmals seit 1951 eine zweistellige Teuerungsrate gemeldet.
  • Hinzu kommen reissende Lieferketten, horrende Rohstoffpreise, ein Krieg in Europa sowie eine drohende Energiekrise.

Als wäre es nicht bereits genug, passiert dies in einer Phase steigender Zinsen. Der Hypothekarzinssatz für eine 10-jährige Festhypothek ist in den letzten 12 Monaten fast um den Faktor drei (!) auf durchschnittlich 3.4% angestiegen. Zurecht kann man im aktuellen Umfeld von einer Zeitenwende sprechen. All diese Faktoren belasten den deutschen Häuser- und Wohnungsmarkt und es steht plötzlich die Frage im Raum:

Könnte die Lösung der letzten Krise paradoxerweise zur Ursache bzw. zum Katalysator für die nächste werden?

Nach der globalen Finanzkrise 08/09 wurde die Geldmenge massiv erweitert und die Zinsen fielen in den Keller. Als Konsequenz haben sich die Immobilienpreise in Deutschland seither beinahe verdoppelt. Nun hat der Markt in den letzten Monaten gedreht und Deutschland steht vor einer Trendwende: der Hauspreis-Index EPX zeigt anschaulich, inwiefern die rekordhohe Inflation, die Reaktion der EZB und der Kapitalmarkt den Druck auf den Immobilienmarkt in Deutschland erhöhen. Auch der Bauboom der letzten Jahre kommt zu einem jähen Ende – in fast allen grösseren deutschen Städten und auch auf dem Land kommt es zu Marktverwerfungen.

Hauspreisindex Deutschland
„Knick in der Kurve“: Wie geht es weiter?

Die Nachfrage nach Häusern und Wohnungen geht messbar zurück; es herrscht Verunsicherung am Markt und es findet eine Verschiebung hin zu Mietobjekten statt. Die Besichtigungen und Transaktionen nehmen ab, Makler sitzen länger auf ihren Objekten und können beim Verkauf von Wohnimmobilien aus deutlich weniger Interessenten auswählen. Dieser Trend und diese sogenannte Price Discovery Phase dürften noch einige Zeit anhalten. 

Bestehende Immobilienbesitzer werden spätestens bei der Verlängerung der Hypothek den Gürtel enger schnallen müssen – es braucht kein Ökonomiestudium, um zu verstehen, dass steigende Finanzierungskosten in Kombination mit steigenden Energiekosten und stark sinkenden Reallöhnen eine herausfordernde Ausgangslage darstellen. Auch wenn die Preise wieder auf ein erschwingliches Niveau fallen sollten, dürften viele Finanzierungen inskünftig an der Tragbarkeit scheitern.

Kommt es zur Immobilienkrise in Deutschland?  

Immobilienökonomen in Deutschland gehen derzeit eher von einer Marktbereinigung aus – das bedeutet eine geringere Preisdynamik, aber auch, dass die Nachfrageschwäche und somit die Preisrückgänge wieder nachlassen dürften. Grössere Korrekturen sind aufgrund der rückläufigen Bautätigkeit sowie dem nach wie vor knappen Angebot und dem Wohnungsmangel in Grossstädten wie Frankfurt oder München eher unwahrscheinlich. Der Markt wandelt sich und braucht Zeit, damit sich Angebot und Nachfrage ordnen können und sich ein neues (vorerst labiles) Gleichgewicht einstellen kann. Sowohl Immobilienbesitzern als auch Investoren wurde vor Augen geführt, dass steigende Häuserpreise kein Naturgesetz sind. Eine Krise mag nicht unmittelbar bevorstehen, aber Immobilienanlagen in Deutschland haben an Unwiderstehlichkeit eingebüsst; auch viele ausländische Investoren üben sich aktuell beim deutschen Betongold in vorsichtiger Zurückhaltung. 

Es ist zu hoffen, dass der deutsche Immobilienmarkt die Zinswende mit einem blauen Auge überstehen wird. Hoffentlich wird die, im Vergleich zur Schweiz, eher lockere Finanzierungspraxis der deutschen Banken mittelfristig nicht doch noch zum Bumerang.

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Dieser Artikel wurde ursprünglich am 4. Oktober 2022 15:49 veröffentlicht, wurde aber regelmässig aktualisiert, um die Informationen aktuell zu halten.